Neuer therapeutischer Angriffspunkt: Forscher finden „Aus“-Schalter für mTor-Komplex

02.06.2017

Die sog. mTor-Kinase ist eine molekulare Schaltzentrale in der Zelle, die den Stoffwechsel, Zellteilung und Zellwachstum reguliert. Bei krankhaften Veränderungen ist eine normale Regulation jedoch nicht mehr gegeben und es wäre hilfreich, wenn man die Zentrale einfach abschalten könnte, etwa um Insulinresistenzen oder das Krebswachstum zu unterbinden. Forscher am FMP haben einen entscheidenden „off“-Schalter gefunden.Paradoxerweise handelt es sich dabei um eine Lipid-Kinase, deren Produkt bislang eher für das Aktivieren von mTor bekannt war.Die Ergebnisse (Fachmagazin Science) lassen auf neue Therapien gegen Diabetes, Fettleibigkeit, Krebs und eine seltene angeborene Muskelkrankheit hoffen.
 
Sie ist am Stoffwechsel genau wie an Zellteilung und Zellwachstum beteiligt: Die mTor-Kinase gilt als wichtige Schaltzentrale in der Zelle. Stimuliert durch die Zufuhr von Zucker, Aminosäuren und Wachstumsfaktorsignalen, wozu auch der insulinähnliche Wachstumsfaktor (Insulin-like growth factor IGF) gehört, sorgt die molekulare Schalteinheit zum Beispiel für die Herstellung neuer Proteine oder für die Einlagerung von Fett und Kohlenhydraten in metabolisch aktiven Geweben. Bleibt eine derartige Zufuhr während einer „Hungerphase“ aus, schaltet mTor vom anabolen Aufbau- in den katabolen Abbaustoffwechsel-Modus um. Statt aus Aminosäuren neue Proteine zu produzieren, werden jetzt Reinigungsprozesse in Gang gesetzt, die kaputte Proteine, die für die Zelle oder das Organ schädlich werden könnten, entsorgen. Der reinigende Effekt des Intervallfastens wird zum Beispiel der inaktivierten mTor-Kinase zugeschrieben.
Auch bei bestimmten Krankheiten wäre es sinnvoll, den mTor-Kinase-Komplex auszuschalten. Bei Diabetes und Fettleibigkeit zum Beispiel liegen krankhafte Mutationen an der zellulären Schaltzentrale vor, ebenso bei vielen Krebserkrankungen. Aber wie und wo schaltet man einen solch komplexen Mechanismus ab?
 
Ein überraschender Fund
Um das herauszufinden, haben Forscher vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) in Berlin der Natur gründlich auf die Finger geschaut. Bekannt war, dass der mTor-Kinase-Komplex vom Lysosom – das ist der Ort innerhalb der Zelle, an dem er normalerweise agiert – in längeren Hungerphasen abfällt und inaktiv wird. Inaktiv wird er jedoch auch mehrmals am Tag, ohne seinen Platz an der Membran zu verlassen, z.B. wenn stimulierende Insulin Signale ausbleiben. Irgendwo hier muss es also eine natürliche Bremse von mTor geben. Die Lösung, die jetzt im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht wurde, war selbst für FMP-Direktor Prof. Dr. Volker Haucke überraschend: „Wir haben eine Lipid-Kinase gefunden, die lokal auf dem Lysosom arbeitet und mTor dort abschaltet“, sagt er. „Paradoxerweise war das Lipid-Produkt dieses Enzyms, wenn es an der Zelloberflächenmembran gemacht wird, bisher eher als wachstumsstimulierendes Lipid bekannt – also für den genau gegenteiligen Effekt.“
 
Wie die Forscher feststellen konnten, gibt es eine spezielle, bislang wenig erforschte sogenannte Klasse II Lipid-Kinase (PI3KC2ß), welche den mTor-Komplex lokal am Lysosom ausschaltet, sobald Stimulatoren von außen fehlen. Bleiben über Nacht beispielsweise hormonelle Signale wie Insulin oder der Insulin ähnliche Wachstumsfaktor aus, wird die Lipidkinase PI3KC2ß aktiv und stellt an der Lysosomen-Membran ein Phospho-Lipid, das den mTor-Komplex in den Ruhemodus schaltet. Derweil kann das Lysosom seine eigentliche Aufgabe, den Abbau von zellulären Proteinen, übernehmen.
Mit der Entdeckung dieses „Aus“-Schalters von mTor haben die Forscher ein großes Rätsel der Grundlagenforschung gelüftet. Doch die neuen Erkenntnisse sind auch für die klinische Forschung hoch relevant. „Biomedizinische Anwendungen zu finden, war unser Ziel und dem sind wir jetzt sehr nahe gekommen“, meint Doktorand Alexander Wallroth, der die mTor-Bremse gemeinsam mit Dr. Andrea Marat, einer ehemaligen Postdoktorandin, die jetzt in New York arbeitet, entdeckte.
 
Biomedizinische Anwendungen greifbar nahe
Ganz konkrete Anwendungsmöglichkeiten sehen die Forscher für die Behandlung von Fettleibigkeit und Diabetes. Das bekannte Diabetes-Medikament Metformin nutzt bereits die Repression von mTor, indem es ein Enzym aktiviert, das Teil derselben Kaskade ist wie die jetzt entdeckte Lipid-Kinase.
„Wenn es uns gelingt, genau diese Lipid-Kinase zu aktivieren, hätten wir ein weiteres und vielleicht sogar besseres Instrument, mTor abzuschalten und damit den Zucker- und Fettstoffwechsel therapeutisch zu beeinflussen“, betont Wallroth. Denkbar sei sogar, Einfluss auf die Entstehung bösartiger Tumoren zu nehmen. Man weiß nämlich, dass Metformin behandelte Patienten weniger anfällig für Krebs sind, obwohl Übergewicht eigentlich das Krebsrisiko erhöht. „Noch ist nicht ganz klar, inwieweit unsere Entdeckung auch für die Krebstherapie geeignet ist, aber wir halten hier neue Ansätze durchaus für denkbar“, erklärt der Biochemiker.
 
Wirkstoffsuche hat begonnen
Nach Ansicht der Forscher eignet sich die Lipid-Kinase PI3KC2ß als therapeutischer Angriffspunkt besonders gut, weil sie nicht elementar fürs Überleben ist. Gezielte Manipulationen von außen wären also für Patienten relativ sicher. Darum wird an der Screening Unit des FMP nun sowohl nach aktivierenden als auch nach hemmenden Substanzen gefahndet, die spezifisch diese Kinase treffen.
Während ein Aktivator der Behandlung von Diabetes und Übergewicht dienen könnte, weil mTor dadurch gestoppt wird, hätte ein Inhibitor womöglich einen weiteren therapeutischen Nutzen: Jene jetzt als mTor-Abschalter identifizierte Lipid-Kinase spielt auch bei der Myotubulären Myopathie eine große Rolle, für die es keine Behandlungsmöglichkeiten gibt, geschweige denn eine Heilung. Forscher aus Kanada hatten unlängst in Maus- und Zebrafischmodellen zeigen können, dass sich die seltene angeborene Muskelschwäche durch Ausschalten der Lipid-Kinase PI3KC2ß zumindest teilweise heilen lässt. Die bisher verwendeten Inhibitoren sind allerdings für den Einsatz am Menschen ungeeignet, weil sie auch andere verwandte Enzyme hemmen. Allein deswegen lohnt sich die Suche nach einem spezifischen Hemmstoff.
 
„Wir haben einen neuen, viel versprechenden Angriffspunkt gefunden und verfolgen nun beide therapeutischen Möglichkeiten weiter“, verspricht Volker Haucke mit Blick auf die gestartete Wirkstoffsuche. Am FMP würden zwar keine Medikamente entwickelt, aber sehr wohl die „Rohstoffe“ dafür geliefert. „In diesem Fall gehen wir davon aus, das wir schon bald Kandidaten-Moleküle identifizieren können, die eines Tages den erhofften klinischen Nutzen bringen“, so Haucke.
 
Originalpublikation:
Marat, A.L., Wallroth, A., Lo, W., Müller, R., Norata, G.D., Falsaca, M., Schultz, C., Haucke, V. (2017) mTORC1 activity repression by late endosomal phosphatidylinositol 3,4 bisphosphate. Science, Ausgabe vom 2. Juni 2017
 
Quelle:
 
Kontakt:
Prof. Dr. Volker Haucke
Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) und Excellenzcluster NeuroCure
Phone +49-30-94793101
E-Mail: HAUCKE@fmp-berlin.de
 
Bild: Dispersion von Lysosomen an die Peripherie von Zellen, in denen die Expression von PI3KC2B stumm geschaltet wurde (siPI3KC2B, rechts) im Vergleich zu Kontrollzellen (scrambled, links). Lysosomen Dispersion geht mit erhöhter Aktivität des mTOR Komple

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