Aktivierung von Glutamat-Rezeptoren erlaubt Einblicke ins Denken

16.06.2016

Das menschliche Gehirn würde ohne den Glutamat-Rezeptor AMPAR (α-amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolepropionic acid receptor) nicht funktionieren. AMPAR sorgen nämlich dafür, dass Neurotransmitter (Botenstoffe) von Zelle zu Zelle übertragen werden, und zwar mit extremer Geschwindigkeit. Diese blitzschnelle Erregungsübertragung ist essentiell für alles, was wir tun, denken und erinnern. Damit sind AMPAR die wichtigsten exzitatorischen Rezeptoren im Gehirn und für den Organismus überlebenswichtig.

Obwohl die Bindung von Neurotransmittern an AMPAR bestens erforscht ist, sind seine Aktivierungsmechanismen bislang nicht vollständig enträtselt. Sprichwörtlich Licht ins Dunkel gebracht haben nun Forscher vom Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) in Berlin. Mittels Fluoreszenz-Resonanz-Energie-Transfer(FRET) konnten Dr. Andrew Plested und Doktorandin Ljudmila Katchan zum ersten Mal aktivierte AMPAR optisch sichtbar machen. Dabei zeigte sich, dass Neurotransmitter konformationelle Veränderungen in zwei intrazellulären Bereichen steuern, ebenso an jener extrazellulären Stelle, wo Glutamat an den Rezeptor bindet. Mehr noch: Die Forscher konnten die Erregungsübertragung in Echtzeit verfolgen. Die Idee dahinter ist, das Leuchten des Rezeptors so zu verbessern, dass auch einzelne Synapsen beobachtet werden können.

Aktivierte Rezeptoren optisch sichtbar gemacht

„Niemals zuvor konnte die Aktivierung von AMPAR gleichzeitig optisch und elektronisch gemessen werden“, beschreibt Nachwuchsgruppenleiter Plested die Neuheit seiner Arbeit. Zwar haben andere Forscher mit der Fluoreszenzlebensdauer-Mikroskopie (FLIM), wie sie auch Plested und sein Team benutzten, AMPAR bereits sichtbar machen können, doch niemals seine schnelle Aktivierung. „Dass wir nun den Proof of Principle erbracht haben, stößt neue Türen für die Erforschung der funktionellen Eigenschaften anderer nativer Moleküle im Gehirn auf“, sagt Biophysiker Plested.

Vier Jahre haben die beiden Wissenschaftler von der FMP-Arbeitsgruppe „Molecular Neuroscience and Biophysics“ für ihre Forschung gebraucht. Jetzt wurden die Ergebnisse im renommierten Fachmagazin „PNAS Plus“ veröffentlicht. Der aktuellen Studie sollen nun weitere Experimente folgen. Hierbei wollen die Forscher neben AMPAR auch andere für die Neurotransmitterübertragung essentielle Moleküle untersuchen. Dies soll sowohl an Zellkulturen als auch an Gehirnschnitten erfolgen.

Das Denken und neurodegenerative Krankheiten besser verstehen

Auch wenn mit der neuen Methode nicht alle Millionen von Synapsen im Gehirn sichtbar gemacht werden können: Schon die Nachverfolgung einiger Dutzend könnte gänzlich neue Einblicke ins Denken erlauben. Darüber hinaus könnte sie eines Tages helfen, ein besseres Verständnis etwa über neurodegenerativen Krankheiten zu gewinnen. Bei diesen Erkrankungen gehen höchstwahrscheinlich Synapsen unter, aber man weiß nicht, bis wann sie aktiv sind. Es wäre zwar etwas sonderbar, aber durchaus möglich, meint Andrew Plested, dass bei Alzheimer oder Parkinson nur inaktive Synapsen verschwinden, die eigentlich wichtigen, nämlich die aktiven, sogar erhalten blieben. Es könne aber auch genau andersherum sein. Was tatsächlich stimmt, könne augenblicklich niemand sagen. „Wir hoffen, ganze Funktionen von Synapsen sehen zu können“, sagt der Biophysiker, „sowohl im gesunden als auch im erkrankten Gehirn.“

An dem Forschungsprojekt waren Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Molekulare Pharmakologie in Berlin, der Universität Kopenhagen und des Exzellenzclusters Neurocure der Berliner Charité beteiligt.

Originalveröffentlichung:
Linda G. Zachariassen, Ljudmila Katchan, Ann G. Jensen, Darryl S. Pickering, Andrew J.R. Plested and Anders S. Kristensen (2016) Structural rearrangement of the intracellular domains during AMPA receptor activation. PNAS, DOI: 10.1073/pnas.1601747113
 
Quelle:
 
Kontakt:
Dr. Andrew Plested
Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP)
plested@fmp-berlin.de
Tel.: 0049 30 9406-3071

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