Angriff auf Synapsen: Neue DFG-Forschungsgruppe untersucht Autoimmun-Gehirnentzündungen
18.10.2019
In der interdisziplinären und translational ausgerichteten Forschungsgruppe SYNABS erforschen Neurologen, Neuropädiater, Physiologen, Neuroimmunologen und Mikroskopieexperten die Krankheitsmechanismen von autoimmun bedingten Hirnentzündungen. Ihr Ziel ist die Entwicklung zielgerichteter Therapieansätze für diese Erkrankungen, die häufig von neurologischen und psychiatrischen Symptomen begleitet sind. Die Gruppe mit Partnern an neun Forschungsinstitutionen in Deutschland, Österreich und Spanien wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Vor gut zehn Jahren wurde die autoimmun-bedingte Gehirnentzündung oder Autoimmun-Enzephalitis in der medizinischen Fachliteratur erstmals beschrieben. Inzwischen kennen Neurologen und Neuropädiater eine ganze Familie dieser seltenen Erkrankungen, von der meist junge Erwachsene und Kinder betroffen sind. Ausgelöst durch bestimmte Tumoren, Infektionen oder zumeist noch ohne erkenntliche Ursache werden Antikörper gegen Neurotransmitter-Rezeptoren im zentralen Nervensystem produziert, die die Signalübertragung an den Kontaktstellen der Nervenzellen, den Synapsen, stören. Die Folgen können Verwirrtheit, Psychosen, epileptische Anfälle oder Bewusstseinsstörungen sein. Für die Patienten mit Autoimmun-Enzephalitiden steht derzeit nur eine allgemeine Therapie zur Verfügung, die unspezifisch die Immunreaktion unterdrückt.
„Wir wollen ein detailliertes Verständnis für die Mechanismen der verschiedenen Formen von Autoimmun-Enzephalitiden entwickeln und damit langfristig zielgerichtete Therapieansätze entwickeln“ beschreibt Prof. Dr. Christian Geis das Ziel der Forschergruppe SYNABS. Der Neuroimmunologe vom Universitätsklinikum Jena ist Sprecher der Gruppe, die in den nächsten drei Jahren von der DFG mit 3,9 Millionen Euro gefördert wird. Die Gruppe aus Neurologen, Neuropädiater, Neurowissenschaftlern, Physiologen, Neuroimmunologen und Biotechnologen von Forschungsinstitutionen in Deutschland und Österreich wird die Krankheitsmechanismen für verschiedene Rezeptoren auf molekularer Ebene, im Tiermodell und unter Verwendung humaner Gewebe und rekombinanter Antikörper untersuchen. Assoziiert ist auch als Mercator–Fellow Herr Prof. Dr. Josep Dalmau in Barcelona, ein Pionier auf dem Gebiet der Autoimmun-Hirnentzündungen. In jedem der acht Teilprojekte arbeiten sowohl Spezialisten aus der klinischen-experimentellen Forschung als auch Grundlagenwissenschaftler mit besonderer methodischer Expertise. Zum Einsatz kommen jeweils hochspezialisierte experimentelle Methoden wie z.B. Elektrophysiologie und Kalzium-Imaging, Biotechnologie und Elektronen- sowie Super-Resolution-Mikroskopie.
Aus Berlin sind Prof. Dr. Angela M. Kaindl, Prof. Dr. Dietmar Schmitz und PD Dr. Harald Prüß der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) Berlin aktiv mit ihren Arbeitsgruppen in dem Forschungsvorhaben vertreten. Zusammen mit ihren Kooperationspartnern werden beispielsweise Immunreaktionen gegen Ionenkanäle im Gehirn untersucht, wie den NMDA- oder GABA-Rezeptor. „Wir wollen die dadurch ausgelösten Veränderungen der Funktion und Zusammensetzung einzelner Synapsen bis hin zur Ursache epileptischer Anfälle, Psychosen und Gedächtnisstörungen abklären,“ erläutert PD Dr. Harald Prüß, Oberarzt der Klinik für Neurologie der Charité und Arbeitsgruppenleiter am DZNE Berlin. Ein weiterer Schwerpunkt der Berliner Forscher in enger Zusammenarbeit zwischen den Neurologen und Neuropädiatern ist die Frage, ob und wie sich Autoantikörper im mütterlichen Blut auf die vorgeburtliche Hirnentwicklung eines Kindes auswirken. „Sollte sich unsere Hypothese bestätigen, dass mütterliche Autoantikörper über die Plazenta auf ein ungeborenes Kind übergehen und dort die Hirnentwicklung stören, so würden wir einen neuen Krankheitsmechanismus beschreiben, eine neuartige Erklärung für Entwicklungsstörungen im Kindesalter finden und könnten in Zukunft neue therapeutische Ansätze entwickeln,“ so Prof. Dr. Angela M. Kaindl, Direktorin der Klinik für Pädiatrie m.S. Neurologie und des Sozialpädiatrischen Zentrums der Charité.
SYNABS-Partner (FOR3004):
- Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Neurologie, Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Neurologie, Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ), Institut für Zell- und Neurobiologie, Neurowissenschaftliches Forschungszentrum (NWFZ)
- Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) Berlin
- Friedrich-Schiller-Universität Jena, Universitätsklinikum Jena, Sektion Translationale Neuroimmunologie, Klinik für Neurologie
- Universität Leipzig, Carl-Ludwig-Institut für Physiologie
- Universität Würzburg, Physiologisches Institut, Biozentrum; Universitätsklinikum Würzburg, Neurologische Klinik, Institut für Klinische Neurobiologie
- Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg
- Technische Universität Braunschweig, Abteilung Biotechnology
- Institute of Science and Technology Austria (IST Austria), Wien/Klosterneuburg
- MedUni Wien, Klinisches Institut für Neurologie (Obersteiner Institut)
assoziiert:
Institut d'Investigacions Biomèdiques August Pi i Sunyer (IDIBAPS), Hospital Clinic IDIBAPS Barcelona, Department of Neurology
Kontakt in Berlin
Prof. Dr. Angela M. Kaindl
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Neurologie, Sozialpädiatrisches Zentrum, Institut für Zell-und Neurobiologie, Charité
Tel. (030) 450 566112. E-Mail: angela.kaindl@charite.de
Prof. Dr. Dietmar Schmitz
Neurowissenschaftliches Forschungszentrum, Charité
Tel. (030) 450539054. E-Mail: dietmar.schmitz@charite.de
PD Dr. Harald Prüß
Klinik für Neurologie, Charité, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) Berlin
Tel. (030) 450 560399. E-Mail: harald.pruess@charite.de