Besser riechen dank „Zeitschaltung“ im Gehirn
08.07.2016
Gerüchen kommt im täglichen Leben eine zentrale Bedeutung zu: Riecht es schlecht, werden wir zum Beispiel vor verdorbenem Essen gewarnt, der Duft eines wohlschmeckenden Gerichts regt Speichelfluss und Verdauung an. Der Geruchssinn ist eng mit dem vegetativen Nervensystem gekoppelt, das unbewusste Funktionen im Organismus steuert und auch unsere Emotionen beeinflusst.
Ein Team um den Gruppenleiter Prof. Thomas J. Jentsch und die Postdoktorandin Kathrin Gödde vom Leibniz-Institut für molekulare Pharmakologie (FMP) und dem Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) hat zusammen mit Schweizer Kollegen von der Universität Genf nun mehr über diesen zentralen Aspekt der Wahrnehmung herausgefunden.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschäftigten sich mit der Frage, wie ähnliche Gerüche auseinandergehalten werden – denn unser Geruchssinn ist enorm fein. Eine besondere Note in dem komplexen Duftstoff-Gemisch von frischem Fisch kann uns verraten, ob er noch essbar ist. Im Zentrum der Sinneswahrnehmung stehen dabei die in den eingeatmeten Düften enthaltenen Geruchsmoleküle.
Wie ein Schlüssel ins Schloss passt ein Geruchsmolekül in den Rezeptor auf der Oberfläche der Riechzellen in der Riechschleimhaut. Derart stimuliert, senden die Riechzellen Signale an den Riechkolben im Gehirn, wo sie von Mitral- und Tufted-Nervenzellen (M/T-Zellen) zu elektrischen „Morsecodes“ verarbeitet und in andere Gehirnbereiche weitergeleitet werden.
Jede Riechzelle trägt nur eine Sorte eines Stoff-spezifischen Rezeptors und ist fest mit einer Region im Riechkolben verdrahtet. So entsteht eine räumliche Signatur eines Geruchs im Riechkolben. Für die feinen Unterschiede zwischen den Düften ist aber auch eine zeitliche Kodierung unverzichtbar, wie das Wissenschaftlerteam zeigte.
Um ähnliche Geruchsmoleküle auseinanderzuhalten, wird die Abfolge der Impulse im Morsecode subtil moduliert, und zuvor synchron morsende Zellen geraten aus dem Takt. Für jeden Duft ergibt sich ein individuelles, zeitabhängiges Signalmuster. Bisher wurde vermutet, dass hemmende Signale den Erregungszustand der M/T-Zellen und damit die Morsecodes in ihrer zeitlichen Abfolge beeinflussen und somit zur Unterscheidung ähnlicher Gerüche beitragen. Diese Frage war bisher nicht abschließend geklärt und war Gegenstand der Untersuchung des Forschungsteams.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler reduzierten die hemmenden Signale, welche M/T-Zellen im Riechkolben von Mäusen von benachbarten Nervenzellen erhielten, indem sie den Ionentransporter Kcc2 mit genetischen Mitteln in genau diesem Zelltyp ausschalteten. Das elektrische Gleichgewicht der M/T-Zellen war daraufhin derart verändert, dass sie praktisch keine hemmenden Signale mehr erhielten.
Im Verhaltenstest konnten die so genetisch veränderten Tiere eindeutig unterscheidbare Gerüche immer noch gut auseinanderhalten – die hemmenden Signale scheinen also keinen Einfluss auf die normale Riechfähigkeit zu haben. Dafür konnten sie Duftstoff-Mischungen mit nur leicht verschiedenen Mischungsanteilen nicht mehr unterscheiden. Auch in ihrer chemischen Struktur sehr ähnliche Moleküle wie etwa das (+)-Limonen (Zitronengeruch) und das (–)-Limonen (Terpentingeruch) konnten die Tiere nicht auseinanderhalten.
Die Erklärung für dieses Phänomen lieferten die Forscher der Uni Genf. Sie untersuchten die elektrischen Eigenschaften der M/T-Zellen am lebenden Tier. Wurden die hemmenden Signale auf die M/T-Zellen unterdrückt, waren die Neurone stärker erregt, und auch die Erstellung der „Morsecodes“ für unterschiedliche Gerüche war beeinträchtigt. Die duftspezifischen Signaturen waren ähnlicher und weniger gut unterscheidbar.
Kathrin Gödde sagt: „Unsere Ergebnisse weisen nach, dass zeitabhängige Musterbildung in den Signalen der M/T-Zellen mit Hilfe neuronaler Hemmung äußerst wichtig ist, um ähnliche Gerüche im Gehirn unterschiedlich abzubilden und eine Geruchsunterscheidung zu ermöglichen. In dieser Klarheit hat man das vorher nicht nachweisen können.“
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