Bremse im Kopf
19.09.2013
Gemeinsame Pressemitteilung der Charitè - Universitätsmedizin Berlin und des DZNE
Wissenschaftlern der Charité – Universitätsmedizin Berlin
und des Deutschen Zentrums für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
sind neue Einblicke in die Funktionsweise einer Hirnregion gelungen, die
der räumlichen Orientierung dient, bei einer Alzheimer-Erkrankung
jedoch geschädigt ist. Im sogenannten Entorhinalen Cortex untersuchten
sie, wie Nervensignale innerhalb dieser Region unterdrückt werden. Diese
neuronale Hemmung trägt nach Einschätzung der Forscher maßgeblich dazu
bei, dass Nervenzellen ihre Aktivität aufeinander abstimmen können. Die
Ergebnisse der Studie sind in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift
Neuron* veröffentlicht.
Der Entorhinale Cortex ist ein
Bindeglied zwischen dem Gedächtniszentrum, dem sogenannten Hippocampus,
und anderen Bereichen des Gehirns. Dabei ist er jedoch mehr als eine
Schnittstelle, die Nervenimpulse einfach nur übermittelt. Dem
Entorhinalen Cortex wird auch eine eigenständige Rolle für Lern- und
Gedächtnisprozesse zugeschrieben, insbesondere für das räumliche
Gedächtnis. „Man weiß noch wenig darüber, wie dies geschieht“, sagt Prof. Dietmar Schmitz, Forscher am Exzellenzcluster Neurocure der Charité
und Standortsprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative
Erkrankungen (DZNE) in Berlin. „Deswegen untersuchen wir im Tiermodell,
wie die Nervenzellen innerhalb des Entorhinalen Cortex miteinander
verschaltet sind.“
Im Gehirn wandern Signale als elektrische
Impulse von Nervenzelle zu Nervenzelle. In der Regel werden sie nicht
bloß weitergeleitet. Die Arbeitsweise des Gehirns beruht darauf, dass
Nervenimpulse auf nachgeschaltete Zellen in manchen Situationen
erregend, in anderen Fällen unterdrückend wirken. Die korrekte Balance
zwischen Hemmung und Erregung ist entscheidend für alle Hirnprozesse.
„Bisherige Untersuchungen haben sich vorwiegend auf die Signalerregung
innerhalb des Entorhinalen Cortex konzentriert. Wir haben uns daher die
Hemmung angeschaut und dabei einen Gradienten innerhalb des Entorhinalen
Cortex festgestellt“, erläutert Dr.
Prateep Beed, Erstautor der Studie. „Das bedeutet, dass Nervensignale
nicht gleichmäßig gehemmt werden. Die Blockade der Nervensignale ist in
manchen Bereichen des Entorhinalen Cortex schwächer, in anderen stärker
ausgeprägt. Die Hemmung hat sozusagen ein räumliches Profil.“
Wenn
das Gehirn beschäftigt ist, geschieht es häufig, dass Nervenzellen ihre
Arbeitsweise aufeinander abstimmen und im Gleichtakt aktiv sind. In
einem Elektroenzephalogramm (EEG) – ein Verfahren, das die elektrische
Aktivität des Gehirns erfasst – äußert sich der Gleichtakt der
Nervenzellen als periodisches Muster. „Es ist eine offene Frage, wie
sich Nervenzellen synchronisieren und wie sie dabei solche Rhythmen
hervorbringen“, sagt Beed. Unklar ist auch, ob die Oszillationen nur
eine Begleiterscheinung der gemeinsamen Nervenaktivität sind oder ob sie
darüber hinaus eine Funktion haben. „Erwiesen ist allerdings, dass
neuronale Oszillationen gemeinsam mit Lernprozessen und sogar im Schlaf
auftreten. Sie sind ein typisches Merkmal der Hirnaktivität“, erklärt
der Wissenschaftler. „Die ungleichmäßige Hemmung von Nervensignalen, die
wir jetzt nachweisen konnten, spielen nach unserer Auffassung für den
Gleichtakt der Nervenzellen und die damit verbundenen Oszillationen eine
wichtige Rolle.“
Im Fall von Alzheimer zählt der Entorhinale
Cortex zu den Hirnregionen, die als erste von der Krankheit betroffen
sind. „In jüngster Zeit häufen sich die Studien über diese Hirnstruktur.
Dort findet man bereits in einem frühen Stadium von Alzheimer jene
Protein-Ablagerungen, die für eine Erkrankung typisch sind“, erläutert Prof.
Schmitz. „Bekannt ist auch, dass Alzheimer-Patienten ein auffälliges
EEG aufweisen. Durch unsere Studie verstehen wir nun besser, wie die
Nervenzellen im Entorhinalen Cortex arbeiten und wie es in dieser Region
zu Störungen der elektrischen Aktivität kommen kann.“
*Originalveröffentlichung: „Inhibitory gradient along the dorso-ventral axis in the medial entorhinal cortex“, Prateep Beed, Anja Gundlfinger et al. Neuron. DOI: 10.1016/j.neuron.2013.06.038.
Kontakt:
Prof. Dietmar Schmitz
Exzellenzcluster NeuroCure
Charité – Universitätsmedizin Berlin
t: +49 30 450 539 054