Den Chromatin-Code knacken

23.02.2023

Chromatinfaktoren sind an der Regulierung der Genexpression beteiligt – sie können zu neurologischen Beeinträchtigungen führen, wenn sie nicht richtig funktionieren. Für ein Forschungsprojekt, dass dies näher beleuchten soll, erhalten NeuroCure  PI Ana Pombo und Alexander Kukalev nun fast 400.000 Euro von der DFG.

Das Erbmaterial einer einzigen menschlichen Zelle ist rund zwei Meter lang. Damit es in den Zellkern hineinpasst, falten sich DNA und dazugehörige Proteine zu Nanometer kleinen Knäulen zusammen – dem Chromatin. So können Abschnitte des Erbguts miteinander in Kontakt treten, die eigentlich auf dem linearen DNA-Strang weit voneinander entfernt liegen. Auf diese Weise können einzelne Gene an- und oder ausgeschaltet werden. Reguliert und gesteuert wird dieses Chromatin-Origami durch sogenannte Chromatinfaktoren. Arbeiten sie nicht richtig, kann das schwerwiegende Folgen haben.

„Mutationen in bestimmten Chromatinfaktoren werden häufig mit Entwicklungsstörungen und psychischen Störungen in Verbindung gebracht“, sagt Dr. Alexander Kukalev, Wissenschaftler in der Arbeitsgruppe „Epigenetische Regulation und Chromatinstruktur“ von Professorin Ana Pombo am Berliner Institut für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Centers (MDC-BIMSB). So weisen etwa Patient*innen mit Lernschwäche, Schizophrenie oder Autismus solche veränderten Chromatinfaktoren auf. Auch Mäuse, deren Hirnzellen einige wichtige Chromatinfaktoren nicht produzieren, können weder lernen noch ein Langzeitgedächtnis bilden.

„Unsere Kernhypothese ist, dass wir durch den Vergleich der Chromatinveränderungen in verschiedenen Modellen von Lernbehinderungen, spezifische Mechanismen oder Wege erkennen könnten, um neue therapeutische Interventionen zu entwickeln“, erklärt Pombo. Um dies zu prüfen, will das Team die Genomfunktion nach dem Verlust von drei Chromatinfaktoren in Gehirnzellen untersuchen. Für das Projekt gab es eine Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) von fast 400.000 Euro mit einer Laufzeit bis 2026.

Die Forschenden konzentrieren sich bei ihren Untersuchungen auf drei Faktoren mit den Kürzeln CTCF, ATRX und SATB2. Dass diese drei Komplexe das Lernen beeinflussen, hatten zuvor die Gruppen von Professor Bong-Kiun Kaang in Südkorea, Dr. Nathalie Berubé in Kanada und Professor Georg Dechant in Österreich in Mäusen gezeigt. Die drei Forschungsgruppen unterdrückten diese Faktoren genetisch in bestimmten Neuronen des Hippocampus, die die Gedächtnisbildung und das Lernen steuern. Unabhängig voneinander stellten sie fest, dass die genetisch veränderten Nagetiere weder Neues lernen noch sich etwas merken konnten. „Daher ist klar, dass die drei Faktoren für die neuronale Funktion wichtig sind“, sagt Kukalev. „Wir möchten nun verstehen, wie sie bei den Gedächtnis- und Lernmechanismen wirken.“

Um das herauszufinden, will das Team in denselben Hirnzellen von Mäusen erforschen, welche Folgen die An- oder Abwesenheit der drei Chromatinfaktoren hat. „Unser Ziel ist es, die Rolle von CTCF, SATB2 und ATRX bei der Genexpression und der Chromatinregulation zu verstehen und Mechanismen zu identifizieren, die die Chromatinstruktur und die Aktivität bestimmter Neuronen bei Lern- und Gedächtnisprozessen verknüpft“, erklärt Kukalev.

Mit High-Tech das Erbgut der Zellen kartografieren

Gelingen soll das mit hochmodernen Methoden, darunter mit Genome Architecture Mapping (GAM). Pombo und ihre Kolleg*innen haben die Technik selbst entwickelt, um eine dreidimensionale Karte des Genoms aus extrem dünnen Schnitten von Zellkernen in intaktem Gewebe zu rekonstruieren. Die Technik haben die Wissenschaftler*innen um Pombo schließlich zu immunoGAM erweitert: „Indem man bestimmte Zelltypen mit fluoreszierenden Farbstoffen markiert, lassen sich innerhalb eines komplexen Gewebes nur Zelltypen von Interesse innerhalb eines komplexen Gewebes analysieren, ohne dass die Gewebestruktur dabei zerstört wird“, erklärt Izabela-Cezara Harabula, die ebenfalls an dem Projekt beteiligt ist.

Zusätzlich wollen die Forschenden die 10x-Genomics-Multiome-Technik einsetzen, um die Genexpression und Chromatinveränderungen auf der Ebene einzelner Zellen zu erfassen. „Mit diesem zweigleisigen Ansatz können wir zelltypspezifische Karten der Genexpression und der regulatorischen Chromatin-Regionen erstellen“, sagt Harabula.

Durch die Kombination von GAM mit 10x-Multiom-Daten lässt sich herausfinden, wo die drei Mutanten veränderte Strukturen in der DNA aufweisen und auf welche Gene und Signalwege sich diese auswirken. Zusätzlich können die Forscher*innen die Regulationsmechanismen genauer untersuchen, die bei den gentechnisch veränderten Mäusen zu einer veränderten Genexpression führen. „Womöglich können die betroffenen Gene und Signalwege als Ansatzpunkte für neue Diagnose- und Therapiemethoden bei lernbeeinträchtigten Patient*innen dienen“, sagt Kukalev. Man könne die Untersuchungen später auch an Proben von menschlichen Patient*innen durchführen, sagt Pombo. „Wir hoffen, dass die Erkenntnisse dazu beitragen können, wirksame Therapien für Menschen mit einer Lernbehinderungen zu entwickeln.“

Quelle: Pressemitteilung MDC

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