Neue Erkenntnisse zum Binge Eating

19.08.2025

Der Geruchssinn, nicht die Geschmackswahrnehmung reguliert das Sättigungsgefühl

Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von Geruchswahrnehmung und Sättigung gewonnen. Hier beantwortet Studienleiter PD Dr. Friedrich Johenning Fragen zu den Forschungsergebnissen.

Welche wissenschaftliche Fragestellung liegt Ihrer Studie zugrunde?
Wir wollten verstehen, wie der Geruchssinn unser Essverhalten beeinflusst – insbesondere, warum Säugetiere und Menschen beim schnellen oder „bingeartigen“ Essen oft mehr zu sich nehmen als nötig. Unsere Hypothese war, dass dabei die Hirnregion für Geruchswahrnehmung – der sogenannte olfaktorische Kortex – eine aktive Rolle spielt. Hintergrund ist das Konzept der sogenannten sensorischen Sättigung: Eine bewusste Geschmackswahrnehmung führt zu einer schnelleren und nachhaltigeren Sättigung.

Wie sind Sie vorgegangen?
Wir haben Mäuse beim Fressen beobachtet. Ihnen stand gewöhnliche Nahrung zur Verfügung, aber auch hochkalorische Flüssignahrung mit unterschiedlichen Geschmäckern wie Erdbeere oder Schokolade. Ein kleines Mikroskop erlaubte es uns, währenddessen die Aktivität von Nervenzellen zu erfassen, wobei sich die Tiere frei bewegten. Wir haben festgestellt, dass sich die Geruchswahrnehmung im Gehirn während unterschiedlicher Essgeschwindigkeiten verändert, die wir mithilfe eines selbst entwickelten Belohnungsgebers steuern konnten. Um die Rolle des olfaktorischen Kortex während der Nahrungsaufnahme genauer zu bestimmen, haben wir die Hirnregion mit optogenetischen Techniken zudem gezielt aktiviert oder deaktiviert.

Was haben Sie herausgefunden?
Beim langsamen Essen bildet der olfaktorische Kortex differenziert verschiedene Geschmacksrichtungen ab. Gruppen von Nervenzellen, die bestimmte Geschmäcker codieren, sind aktiviert. Beim schnellen, intensiven Fressen dagegen wird die Aktivität in dieser Hirnregion weitgehend unterdrückt. Ein Muster, das wir im für die Geschmackswahrnehmung verantwortlichen gustatorischen Kortex nicht beobachten konnten. Die Unterdrückung im olfaktorischen Kortex führt dazu, dass ein Gefühl der Sättigung langsamer einsetzt – die Tiere fressen entsprechend länger weiter. Hemmen wir die Hirnregion gezielt während der Nahrungsaufnahme, fressen die Mäuse deutlich mehr. Aktivieren wir sie, hören sie schneller auf.

Aktivierte Nervenzellen des olfaktorischen Kortex beim langsamen Essen. Den Tieren wurde in der Nährstoffzusammensetzung identische Nahrung mit unterschiedlichen Aromen sowie eine Zuckerlösung angeboten. Zu sehen ist eine klar getrennte Repräsentation der Neurone, die auf Erdbeergeschmack (blau), Schokoladengeschmack (orange) und Zucker (grün) reagieren. Diese Nervenzellen werden beim schnellen Fressen (“binge feeding”) gehemmt. © Neuron | Johenning

 

Was hat Sie überrascht?
Überraschend war für uns, dass die Signalunterdrückung im olfaktorischen Kortex nicht von den Sinneszellen der Nase ausgeht, sondern über ein zentrales Bewertungssystem im Gehirn vermittelt wird – genauer gesagt von hemmenden Nervenzellen in einem Teil des Belohnungssystems. Das bedeutet: Je gehaltvoller eine Nahrung ist, desto stärker wird die Geruchswahrnehmung beim schnellen Essen „heruntergedreht“ und somit die sensorische Sättigung reduziert.

Welches Fazit können Sie ziehen?
Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Geruchssinn beim Essen nicht nur passiv beteiligt ist, sondern aktiv reguliert wird – je nachdem, wie wertvoll uns die Nahrung gerade erscheint und wie schnell wir essen. Das könnte erklären, warum bestimmte Essmuster und Nahrungsmittel zu Überkonsum führen. Langfristig kann das Wissen dabei helfen, neue Ansätze zur Behandlung von Essstörungen und Übergewicht zu entwickeln.

Quelle
Lo H et al. Feeding-induced olfactory cortex suppression reduces satiation. Neuron 2025 Aug 15. doi: 10.1016/j.neuron.2025.07.020

Kontakt
PD Dr. Friedrich Johenning
Institut für Zell- und Neurobiologie
Neurowissenschaftliches Forschungszentrum
Charité – Universitätsmedizin Berlin

Links
Link zur Originalpublikation auf der Webseite von Cell Press

Link zur Charité-Webseite der AG Sensorische Biologie der Nahrungsaufnahme (Johenning)

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