Grüne Welle im Gehirn
12.10.2015
Theta-Wellen koordinieren Orientierung und Bewegung
Berliner Forschern ist es gelungen, mittels Lichtstrahlen die Thetawellen im Gehirn von Mäusen zu steuern. Sie konnten zeigen, dass die noch wenig verstandenen Gehirnwellen Botschaften zwischen unterschiedlichen Gehirnregionen übermitteln – als eine Art gemeinsame Sprache des Gehirns koordinieren sie mentale Zustände und Verhalten.
Thetawellen
wurden vor fast 80 Jahren in Berlin-Buch entdeckt und geben doch bis heute
Rätsel auf: Warum feuern Nervenzellen in den Gehirnen von Mensch und Tier
mitunter synchron, in einem schnellen Rhythmus von 5-10 Schwingungen pro
Sekunde? Thetawellen treten zum Beispiel im Navigationssystem des Gehirns, dem
Hippocampus, auf. Bewegen sich Tiere oder Menschen fort, werden hier sogenannte
“Ortszellen” aktiviert: Jede Position im Raum wird durch einige spezifische
Ortszellen exakt kodiert. Ob die Thetawellen sich dabei auf Verhalten der Tiere
während der Navigation auswirken, war bislang unbekannt.
Einem Forschungsteam am Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP) und
NeuroCure-Exzellenzcluster in Berlin, geleitet von Tatiana Korotkova und Alexey
Ponomarenko, gelang es nun, den Theta-Rhythmus im Hippocampus von Mäusen mit
Hilfe optogenetischer Methoden zu steuern. Dabei wurden die neuronalen
Verbindungen, die vom Theta-Schrittmacher des Gehirns zum Hippocampus führen,
mit lichtempfindlichen Proteinen ausgestattet und dann über eine optische Faser
angeregt. “Es war faszinierend zu beobachten, wie dieser prominente
Gehirnmechanismus seinen Rhythmus den blauen Laserstrahlen anpasste”, erinnern
sich die Doktorandinnen Franziska Bender und Maria Gorbati.
Durch Steuerung mittels Licht wurden die Thetawellen gleichförmiger und
stabiler, da sie weniger von anderen Reizen beeinflusst wurden. Erstmals konnte
man so die Bedeutung von Thetawellen für das Verhalten der Tiere erforschen.
Die erste Überraschung: Während der Lichtstimulation liefen die Mäuse bei der
Erkundung eines Areals langsamer und gleichmäßiger „Man kann sich die
Gehirnrhythmen als Ampeln vorstellen, die den Zellen mitteilen, wann sie an der
Reihe sind, fasst Alexey Ponomarenko die Ergebnisse zusammen. „Konstantere
Oszillationen wirken wie präzise wiederkehrende Grünphasen auf die Zellen.” Die
zweite Überraschung: Nicht nur Areale der Großhirnrinde, sondern auch
entwicklungsgeschichtlich weit ältere Hirnzentren reagierten auf die Grün- und
Rotphasen der Hippocampusregion, und auch das wirkte sich auf das Verhalten der
Mäuse aus. Die Thetawellen im Hippocampus werden über das Laterale Septum an
den Hypothalamus weitergeleitet – eine grundlegende Schaltzentrale des Gehirns,
die viele unbewusste Signale verarbeitet, was zu Empfindungen wie Hunger oder
Bewegungsdrang führt. “Über viele Jahre wurde die Bedeutung der Thetawellen für
die Kodierung von Raum und Zeit studiert, um unser Verständnis davon zu
erweitern, wie das Gehirn unsere täglichen Erfahrungen abspeichert”, erzählt
Tatiana Korotkova. “Jetzt verstehen wir, dass das Bild unserer Umgebung, welches
vom Hippocampus generiert wird, von anderen Gehirnregionen abgelesen wird, die
direkten Einfluss auf die Bewegungsgeschwindigkeit während der Erkundung einer
Umgebung nehmen können”.
Das Gehirn setzt sich aus Netzwerken zusammen, denen höchst unterschiedliche
Organisationsmechanismen zugrunde liegen, und die womöglich unterschiedliche
Sprachen sprechen, aber trotzdem zusammen funktionieren, um das Überleben des
Organismus zu sichern. „Es war schon bekannt, dass Netzwerke im Gehirn mittels
Synchronisation miteinander kommunizieren. Wir verfügten also über eine Art
rudimentäres Wörterbuch, dass allerdings noch nie getestet worden war. Mit
Optogenetik ist es nun möglich, an dieser Kommunikation teilzunehmen, die
genaue Bedeutung des Synchronizations-Vokabulars zu bestimmen und das
Wörterbuch erweitern“, erklärt Alexey Ponomarenko. Die Wissenschaftler sind
überzeugt, dass die Manipulation mit optogenetischen Methoden dabei helfen
kann, Ursache und Wirkung von Gehirndynamiken und Verhalten zu entschlüsseln
und unser mechanistisches Verständnis psychischer Störungen zu vertiefen.
Quelle: Franziska Bender#, Maria
Gorbati#, Marta C. Cadavieco, Natalia Denisova, Xiaojie Gao, Constance Holman,
Tatiana Korotkova§ & Alexey Ponomarenko§: “Theta oscillations regulate the
speed of locomotion via a hippocampus to lateral septum pathway.” Nature Communications, 6:8521, DOI:
10.1038/ncomms9521, 2015
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