Interview mit Noa Lipstein
04.11.2025
Nach intensiver Begutachtung hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) entschieden, dass der Exzellenzcluster NeuroCure für eine weitere Förderperiode verlängert wird. Dieser wird somit von 2026 bis 2032 gefördert. Der Cluster konzentriert sich auf die Erforschung neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen. Wissenschaftler:innen aus Klinik und Grundlagenforschung arbeiten interdisziplinär zusammen.
Noa Lipstein und Volker Haucke vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) gehören zu den 25 wissenschaftlichen Mitgliedern des Clusters. Das FMP hat sich mit Noa Lipstein über ihre Forschungsarbeiten im Cluster gesprochen.

Noa Lipstein, Nachwuchsgruppenleiterin am Leibniz-FMP und Principal Investigator im Exzellenzcluster NeuroCure. @ Kauffmannstudios
Kürzlich wurde entschieden, dass die Förderung für NeuroCure verlängert wird: Warum ist das Ihrer Meinung nach so wichtig?
Noa Lipstein: NeuroCure hat das Fundament für die heutige Gemeinschaft der Neurowissenschaftler:innen in Berlin gelegt. Als der Cluster vor knapp 20 Jahren ins Leben gerufen wurde, gab es hier nur wenige Gruppen mit dem Fokus auf Neurowissenschaften. Der Exzellenzcluster hat es möglich gemacht, eine starke Gemeinschaft zu schaffen und viele neue Forschungsgruppen nach Berlin zu holen – meine eingeschlossen. Jetzt bietet die Verlängerung von NeuroCure um weitere sieben Jahre eine großartige Gelegenheit, diese Community weiter auszubauen, sie an die Zukunft der Neurowissenschaften anzupassen und ein starkes klinisches und grundlagenwissenschaftliches Forschungsprogramm in Berlin aufrechtzuerhalten.
Was bedeutet es für Sie persönlich, Teil von NeuroCure zu sein?
Noa Lipstein: Es ist für mich eine große Ehre und eine spannende Gelegenheit, weiterhin in einem so herausragenden Umfeld arbeiten zu können. Ich bin vor fünf Jahren als Junior-Gruppenleiterin zu NeuroCure gekommen, und jetzt als PI ausgewählt zu werden, zeigt, wie stark und dauerhaft ich von dieser Community unterstützt werde. Es eröffnet mir zudem viele Möglichkeiten – sowohl für neue Kooperationen als auch für die Erschließung neuer Forschungsrichtungen.
Aus Ihrer Sicht: Was macht NeuroCure so besonders?
Noa Lipstein: Was NeuroCure wirklich besonders macht, ist, dass es nicht nur um die Grundlagen der Neurowissenschaften geht. Es geht darum, die klinischen Wissenschaftler:innen mit denen zu vernetzen, die im Labor arbeiten. Unter einem Dach arbeiten also Forschende, die Studien an Fliegen machen, und Kliniker, die mit dem menschlichen Gehirn arbeiten. Die Übertragung grundlagenwissenschaftlicher Erkenntnisse in die klinische Anwendung ist eine große Herausforderung – NeuroCure arbeitet jedoch gezielt daran, diese Brücke erfolgreich zu schlagen.
Worauf möchten Sie sich in Ihrer Forschung in den nächsten Jahren konzentrieren?
Noa Lipstein: Ich bin nach Berlin gekommen, um zu erforschen, wie Nervenzellen auf molekularer Ebene miteinander kommunizieren. Konkret möchten wir verstehen, wie die molekulare Zusammensetzung von Synapsen deren Funktion beeinflusst. In den letzten Jahren haben wir Werkzeuge etabliert, um diese Fragestellung zu bearbeiten, und mehrere zugrundeliegende Mechanismen identifiziert. Gleichzeitig haben wir unser Spektrum erweitert und beschäftigen uns nun auch mit der Erforschung menschlicher Krankheiten – wir haben Projekte zu den zugrundeliegenden Mechanismen der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) und der frontotemporalen Demenz (FTD) laufen, sowie zu einer neuen Entwicklungsstörung, die wir entdeckt haben. In diesen Projekten untersuchen wir Krankheitsmechanismen und erforschen neue therapeutische Ansatzpunkte. Dank NeuroCure haben wir jetzt die spannende Möglichkeit, auf menschliches Hirngewebe aus Resektionsoperationen zuzugreifen. Das bietet uns eine einzigartige Möglichkeit, unsere Grundlagenforschung mit krankheitsorientierten Studien zu verbinden, und wir freuen uns darauf, dies weiter in unsere Laborarbeit in den nächsten Jahren zu integrieren.
Welche aktuellen Entwicklungen sind für Sie am spannendsten?
Noa Lipstein: Wir haben mehrere Proteinnetzwerke entdeckt, die Signale in bestimmten Bereichen von Synpasen übertragen, und das in verschiedenen Synapsentypen. Wir können jetzt zeigen, dass diese Proteine die synaptische Funktion dynamisch beeinflussen und so zur Heterogenität und Vielfalt neuronaler Kommunikation beitragen. Das Zusammenspiel zu verstehen, ist besonders spannend für uns – und es hat auch direkte Relevanz für menschliche Erkrankungen. Wir haben bereits Patienten mit Genvarianten gefunden, die den Bauplan für einige dieser Signalmoleküle enthalten.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit spielt eine große Rolle für den Erfolg von NeuroCure: Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem Teamarbeit einen wesentlichen Unterschied macht?
Noa Lipstein: Wir erforschen eine Entwicklungsstörung bei Kindern, die auf Variationen im Gen UNC13A zurückzuführen ist. Das UNC13A-Gen enthält den Bauplan für das essentielle synaptische Protein UNC13A. Bei einem der NeuroCure-Jahrestreffen hatte ich die Gelegenheit, mit Dr. Andrea Kühn, einer Expertin für Bewegungsstörungen, zu sprechen. Sie und ihr Team haben uns geholfen, den klinischen Zustand der betroffenen Kinder zu beurteilen, und diese Zusammenarbeit war bereits sehr produktiv und erfolgreich. Für die Zukunft planen wir, gemeinsam mit dem Neuroscience Clinical Research Center (NCRC) Patient:innen mit dieser Entwicklungsstörung zur Evaluierung nach Berlin zu holen. Das wird uns tiefere Einblicke ermöglichen und möglicherweise spannende neue Impulse für die Forschung im Labor geben.
Was sind für Sie die größten Herausforderungen und zukünftigen Chancen bei NeuroCure?
Noa Lipstein: Für mich ist es definitiv der Schritt, Erkenntnisse aus dem Labor auf klinische Anwendungen oder eine bessere Patientenversorgung zu übertragen. In den nächsten sieben Jahren hoffe ich, dass wir dazu viele neue Ideen beitragen können.
Quelle: News FMP