Limbische Enzephalitis: Autoantikörper lösen Übererregung im Gehirn aus
20.03.2020
Eine wachsende Zahl psychiatrischer und neurologischer Erkrankungen beruht auf Antikörpern, die sich nicht gegen Krankheitserreger, sondern gegen körpereigene Proteine des Gehirns richten. Sie werden als autoimmune Enzephalitiden bezeichnet. Wie die Antikörper die Symptome auslösen, ist allerdings kaum bekannt. Im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojekts des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Zusammenarbeit mit dem Exzellenzcluster NeuroCure an der Charité - Universitätsmedizin Berlin konnte gezeigt werden, dass einzelne Antikörper aus dem Liquor von Patienten mit limbischer Enzephalitis, einer bestimmten Form der autoimmunen Enzephalitis, die Erregbarkeit von Nervenzellen erhöhen. Dieser Befund trägt zu einem besseren Verständnis der Erkrankung bei. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Annals of Neurology* (Ann Neurol 2020; 87: 405-418) veröffentlicht.
Patientinnen und Patienten mit limbischer Enzephalitis leiden unter epileptischen Anfällen, Verwirrtheit, Wesensänderung und Demenz. Häufig beruht die Diagnose der limbischen Enzephalitis auf dem Nachweis von Antikörpern gegen ein bestimmtes Protein, das sogenannte LGI1 (leucine-rich glioma-inactivated protein 1), welches sich an bestimmte Stellen der Oberflächen von Nervenzellen anheftet. Die Entfernung dieser Antikörper durch Blutwäsche und Immuntherapien führt oft zu einer erfolgreichen Behandlung oder sogar Heilung.
An der Charité - Universitätsmedizin Berlin und am DZNE Berlin erforscht eine Gruppe von Wissenschaftlern und Ärzten um Prof. Dr. Harald Prüß und Prof. Dr. Dietmar Schmitz das Autoimmungeschehen im Gehirn von Patienten mit limbischer Enzephalitis. Die Arbeitsgruppe um den Neurologen Prof. Prüß hat eine Methode etabliert, mit der einzelne Immunzellen aus der Hirnflüssigkeit (Liquor) isoliert und die von ihnen produzierten Antikörper in großem Maßstab hergestellt werden können. Dr. Hans-Christian Kornau, Erstautor der Studie, hat von drei Patienten mit limbischer Enzephalitis mit dieser Methode insgesamt 26 LGI1-Antikörper gewonnen und im Detail untersucht.
Eine wesentliche Frage bestand darin, wie LGI1-Antikörper Nervenzellen beeinträchtigen können. Dazu führte Dr. Alexander Stumpf aus der Arbeitsgruppe von Prof. Schmitz elektrophysiologische Ableitungen an Nervenzellen in Gehirnschnittpräparaten durch. Er konnte zeigen, dass LGI1-Antikörper die Erregbarkeit der Nervenzellen deutlich erhöhen. Zellen, die mit einem LGI1-Antikörper inkubiert wurden, ließen sich ungewöhnlich leicht zur Reizweiterleitung anregen. Weitere Experimente ergaben, dass die Wirkung der LGI1-Antikörper auf einer Verminderung bestimmter Kaliumströme beruht, die normalerweise die Aktivität von Nervenzellen dämpfen. Wenn Nervenzellpopulationen im Gehirn von Patienten aufgrund der LGI1-Antikörper schon bei unterschwelligen Reizen aktiv werden, kann sich schnell eine Übererregung ausbreiten und Fehlfunktionen verursachen.
„Wir möchten verstehen, wie bei limbischer Enzephalitis Schäden im Gehirn entstehen. Die gesteigerte Erregbarkeit der Nervenzellen durch die LGI1-Antikörper könnte dabei eine Schlüsselrolle spielen“, so Kornau. Prüß ergänzt: „Schon jetzt liefert die Studie den bisher ausstehenden wissenschaftlichen Nachweis, dass LGI1-Antikörper direkt krankheitsverursachend sind und unsere Patienten somit eine rasche und wirksame Immuntherapie benötigen.“
Kontakt:
Dr. Hans-Christian Kornau
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) Berlin
c/o Charité - Universitätsmedizin Berlin,
Charitéplatz 1,
10117 Berlin
E-Mail: hans-christian.kornau(at)dzne.de
*Originalpublikation: https//doi.org/10.1002/ana.25666