Neu entdeckte Untereinheiten von Chloridtransportern erhellen den Mechanismus schwerer neurologischer Erkrankungen
18.04.2025
Regulierter Transport von Ionen, wie z.B. von Natrium oder Chlorid, über biologische Membranen ist essenziell für die Funktion von Zellen und des Organismus. So führen Mutationen in allen neun Genen der CLC Familie von Chloridtransportern oft zu schweren Erbkrankheiten beim Menschen.
Funktion und Krankheitsrelevanz der CLC-Chloridkanäle
Diese von Prof. Thomas Jentsch vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP), Max Delbrück Center for Molecular Medicine (MDC) & NeuroCure PI vor Jahrzehnten entdeckte Genfamilie kodiert sowohl für Kanäle, die Chlorid-selektive ‚Löcher‘ in der äußeren Zellmembran bilden, als auch für Proteine, die Chlorid gegen Protonen (H+) über die Membranen intrazellulärer Vesikel austauschen. Mutationen in CLC Chloridkanälen führen z.B. zu Muskelsteifigkeit oder schweren Salzverlust über die Niere, während Mutationen von intrazellulären Chlorid/Protonen Austauschern u.a. zu Eiweißverlust in den Urin und Nierensteinen (ClC-5), zu Osteopetrose (ClC-7), oder zu neurologischen Erkrankungen (ClC-3 bis ClC-7) führen können. Dies beruht wahrscheinlich auf einer Kombination von veränderter Ansäuerung, elektrischer Spannung, oder Chloridkonzentration der entsprechenden Vesikel (Endosomen oder Lysosomen). Diese Parameter beeinflussen sowohl den intrazellulären Transport des Vesikel, als auch dessen Funktion wie z.B. den Abbau von Eiweißen. Die Regulation der CLC Transporter blieb jedoch rätselhaft.
In den letzten Jahren konnte die Arbeitsgruppe Jentsch zusammen mit Humangenetikern zeigen, dass Mutationen in ClC-3 und ClC-4 zu teilweise schwersten neurologischen Erkrankungen führen. Biophysikalische Analyse der Mutanten ergab aber oft keinen Hinweis auf funktionelle Defekte.
Modell ausgewählter TMEM9 Funktionen
Nun fand die Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit Prof. Bernd Fakler, Freiburg, dass zwei bisher kaum charakterisierte kleinere Proteine direkt an ClC-3, -4, und -5 binden und sogenannte obligate beta-Untereinheiten dieser Transporter darstellen. Die FMP-Gruppe fand heraus, dass diese neuen Untereinheiten (TMEM9 and TMEM9B) vielfältigen Einfluss nehmen: Sie sind einerseits notwendig für die Stabilität der CLC Transporter. Dies konnte anhand von KO Mäusen gezeigt werden, bei denen die Gene der Untereinheiten zerstört wurden. Die Wichtigkeit der Untereinheiten wird dadurch unterstrichen, dass Mäuse, denen beide Proteine fehlen, sterben. Beide Proteine beeinflussen andererseits auch die Lokalisation der CLC Austauscher innerhalb der Zelle. Die Studie von Prof. Thomas Jentsch und anderen Wissenschaftlern wurde nun in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
TMEM9 und TMEM9B: Lebenswichtige Begleiter der CLC-Transporter
Wohl am wichtigsten war die überraschende Entdeckung, dass die neuen Untereinheiten den Ionentransport der CLC Transporter fast vollständig blockieren. Bei der Arbeitsgruppe kam der Verdacht auf, dass krankheitserzeugende ClC-3 und ClC-4 Mutationen diese Blockade verringern. Dies konnte die Gruppe mit einem neu entwickelten Test zeigen: Zelluläre Überproduktion von ClC-3 führt zu angeschwollenen Vesikeln durch pathologisch erhöhte Chloridaufnahme (Bild), was durch gleichzeitige Expression von TMEM9 Untereinheiten verhindert wird. Diese Blockade fehlte jedoch bei mehreren pathogenen CLC Mutanten, die für sich genommen keinen Effekt zeigten. Damit wurde klar, dass diese bisher rätselhaften Mutanten unter normalen Bedingungen, d.h. in Anwesenheit der beta-Untereinheiten, eine pathologisch erhöhte Transportaktivität aufweisen.
Die pharmakologische Hemmung der Transporter durch noch zu entwickelnde Medikamente könnte für die Therapie schwerer neurologischer Symptome bei Patienten mit spezifischen Mutationen von Nutzen sein.
Gezielte Mutationen zeigten, dass der C-Terminus, das ‚Ende‘ des Proteins, den Ionentransport hemmt. Zusammen mit der Position der Patienten-Mutationen konnten nun ein konkretes Modell zu Interaktionsstellen der CLCs mit den beta-Untereinheiten entwickelt werden. Dieses Modell wurde in Zusammenarbeit mit Prof. Richard Hite, New York, durch Erstellen einer noch nicht endgültig publizierten Cryo-EM Struktur des CLC/TMEM9 Komplexes weitestgehend bestätigt.
Gleichzeitig waren die Forschenden auf Spurensuche, wie diese Hemmung auch physiologisch ein klein wenig aufgelöst werden kann. „Erste Daten legen nahe, dass dieser Prozess durch Phosphorylierung erfolgt, also eine chemische Modifikation des Proteins“, sagt Prof. Thomas Jentsch. „Das ist eine sehr effiziente Regulationsmöglichkeit für diesen Kanal.“ In weiteren Schritten der Forschung geht es nun darum, die Proteine zu identifizieren, die die CLC oder TMEM9 Proteine phosphorylieren und zu untersuchen, ob man diesen Prozess pharmakologisch beeinflussen kann.
Publikation:
Rosa Planells-Cases, Viktoriia Vorobeva, Sumanta Kar, Franziska W. Schmitt, Uwe Schulte, Marina Schrecker, Richard K. Hite, Bernd Fakler, Thomas J. Jentsch. Endosomal chloride/proton exchangers need inhibitory TMEM9 ß-subunits for regulation and prevention of disease-causing overactivity.
DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-025-58546-3
Quelle: Pressemitteilung des FMP
Kontakt:
Prof. Dr. Dr. Thomas Jentsch
Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP)
Max Delbrück Center for Molecular Medicine (MDC)
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