Wechselwirkungen zwischen synaptischer Kurz- und Langzeitplastizität wandeln zeitliche neuronale Repräsentationen in räumliche Muster um
24.11.2025
Ein internationales Forschungsteam um Professor Robert Gütig vom Berlin Institute of Health in der Charité (BIH) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat herausgefunden, dass die flexible Abstimmung von synaptischer Kurz- und Langzeitplastizität es Nervenzellen ermöglicht, zeitliche Sequenzen von Aktionspotentialen als räumliche Aktivitätsmuster zu verarbeiten. Dieser Mechanismus steigert die Kapazität und Zuverlässigkeit neuronaler Schaltkreise und könnte erklären, wie das Gehirn komplexe Lern- und Gedächtnisleistungen hervorbringt. Die Studie ist jetzt in PNAS erschienen.
Neuronale Informationsverarbeitung im Gehirn basiert auf der Übertragung von Aktionspotenzialen durch chemische Synapsen, deren Signalstärke bei vielen Verbindungen erheblich von der vergangenen Aktivität abhängig ist. Während viele Auswirkungen solcher Kurzzeitplastizität seit langem erforscht sind, bleibt unklar, wie sich Wechselwirkungen zwischen Kurz- und Langzeitplastizität auf die Lernfähigkeit neuronaler Netzwerke auswirken. Eine aktuelle Studie zeigt nun, dass langfristige Veränderungen der Kurzzeitplastizität einzelner Synapsen es Neuronen ermöglichen, zeitliche Sequenzen von Aktionspotentialen als räumliche Muster zu verarbeiten. Dieser Mechanismus erhöht die Kapazität und die Zuverlässigkeit neuronaler Schaltkreise, allerdings auf Kosten eines erhöhten Aktivitätsniveaus. Um also z.B. die Anzahl der in einem neuronalen Netzwerk speicherbaren Erinnerungen zu verdoppeln, benötigt man also nicht, wie in herkömmlichen Architekturen, doppelt so viele Verbindungen, sondern lediglich doppelt so viele Aktionspotentiale.
Diese Erkenntnisse basieren auf phänomenologischen Modellen synaptischer Kurzzeitplastizität, die mit elektrophysiologisch gemessener Hirnaktivität übereinstimmen. Die Theorie sagt vorher, dass synaptische Lernvorgänge vom Ausmaß und Typ der Kurzzeitplastizität abhängen, die durch den Induktionsmechanismus der Langzeitplastizität hervorgerufen wird.
Neue Einsichten in die Dynamik neuronaler Lernprozesse
„Diese Ergebnisse eröffnen ein neues Verständnis darüber, wie das Gehirn Informationen flexibel und effizient verarbeiten kann,“ erklärt Robert Gütig, W3-Professor für Mathematische Modellierung des neuronalen Lernens an der Charité und am BIH und stellvertretender Direktor des BIH Charité Digital Clinician Scientist Programms. „Indem Kurzzeit- und Langzeitplastizität zusammenwirken, kann das neuronale Netzwerk zeitliche Aktivitätsmuster in räumliche übersetzen – ein entscheidender Schritt für komplexes Lernen und Gedächtnisbildung.“
Weitere Forschungen könnten diese Mechanismen für Anwendungen in der Neurowissenschaft und künstlichen Intelligenz nutzbar machen, z.B. um die Leistungsfähigkeit besonders energiesparender, neuromorpher Netzwerkarchitekturen nachhaltig zu verbessern.

Die Abbildung zeigt beispielhaft den graduellen Übergang einer hemmenden synaptischen Antwort (blau, kühle Farben) für kurze Zeitintervalle zwischen eingehenden Aktionspotentialen hinzu einer erregenden Signalübertragung (rot, warme Farben) für längere Zeitintervalle. Copyright: Robert Gütig
Originalpublikation:
Q. Yu,M. Tsodyks,H. Sompolinsky,D. Schmitz, & R. Gütig, Interactions between long- and short-term synaptic plasticity transform temporal neural representations into spatial, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 122 (47) e2426290122, https://doi.org/10.1073/pnas.2426290122 (2025)
Quelle:
Pressemitteilung des Berlin Institute of Health (BIH)
Kontakt:
Prof. Dr. Robert Gütig
Charité – Universitätsmedizin Berlin
E-Mail: robert.guetig[at]bih-charite.de