Wie ein unsichtbarer Dirigent

04.07.2013

 

Berliner Wissenschaftlern ist es gelungen, die molekulare Maschinerie eines zentralen zellulären Transportvorgangs aufzuklären. Mittels chemischer Sonden und hochauflösender Fluoreszenz-Mikroskopie konnten die Molekularbiologen die an dem Endozytose genannten Vorgang beteiligten Komponenten im Detail verfolgen und sogar kurze Filmaufnahmen der Zellen erstellen.  Beteiligt waren Wissenschaftler des Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie (FMP), der Freien Universität Berlin und des Exzellenzcluster NeuroCure der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der gemeinsamen medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und der Freien Universität Berlin. Die Arbeit wurde in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlicht. Der untersuchte Zelltransport ist für eine Vielzahl von Körperfunktionen von Bedeutung, etwa bei der Aufnahme von Nährstoffen aus dem Blut oder bei der Erregungsweiterleitung im Gehirn. Er spielt auch bei der Entstehung von Krebs und neurogenerativer Erkrankungen wie Alzheimer eine Rolle. Entscheidend sind dabei spezielle Lipid-Moleküle, die als Erkennungsmarker in der Zellmembran dienen. Diese Lipid-Moleküle lassen sich blitzschnell von Enzymen verändern und geben so die Richtung des Transports vor.

Die Vorgänge in lebenden Zellen erscheinen auf den ersten Blick wie ein undurchschaubares Gewimmel: Unablässig werden Stoffe synthetisiert und wieder abgebaut, dreidimensionale Strukturen entstehen und vergehen. Um Substanzen aus der Umgebung aufzunehmen und zu transportieren, stülpt die Zelle ihre Außenhaut ein und schnürt in einem Endozytose genannten Prozess  winzige Vesikel ab. Wie von einem unsichtbaren Dirigenten geleitet, wandern die Vesikel dann ins Innere der Zelle. Doch woher kommt die Ordnung in dem vermeintlichen Chaos? Die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Volker Haucke hat in ihrer Arbeit gezeigt, wie sich ein solch komplizierter Vorgang selbst organisiert, die einzelnen Komponenten, in Jahrmillionen optimiert, greifen darin wie Zahnräder ineinander.

Schon zuvor war bekannt, dass sich bestimmte Komponenten der Zellmembran dort ansammeln, wo sich die Zelle einstülpen wird. Es handelt sich dabei um Phosphoinositide, im Laborjargons PIPs genannt: Sie bestehen einerseits aus einem fettlöslichen Schwanz und sind damit in der Lipidmembran verankert, zum anderen aus einem wasserlöslichen Kopf, der ein klein wenig in das Innere der Zelle hineinragt. Diese Köpfe sind in ihren chemischen Eigenschaften besonders charakteristisch, so dass andere Zellkomponenten wie Eiweißmoleküle sie erkennen und daran binden können. So wird  die Bildung oder der Transport der Vesikel vorangetrieben.

Zugleich sind die PIP-Köpfe leicht wandelbar, denn passgenaue Enzyme können die Phosphatgruppen ablösen und in anderen Orientierungen wieder anbringen, der Kopf bekommt dadurch ein anderes Gesicht. In einer aufwändigen Indizienjagd konnten der Gruppenleiter Volker Haucke, sein Doktorand York Posor und andere beteiligte Forscher zeigen, wie sich ein bestimmtes Enzym bei der Einstülpung anlagert und das anfängliche PIP binnen Sekunden in ein anderes, bislang wenig charakterisiertes PIP umwandelt. Als York Posor dieses Enzym mit gentechnischen Methoden blockierte, fror das System gleichsam ein. Die Einstülpungen blieben an der Membran hängen, wie er in vergleichenden Filmsequenzen demonstrierte. Im normalen Verlauf des endozytotischen Vesikeltransports dagegen zieht das umgewandelte PIP dann ein spezielles Protein an, das die weitere Einstülpung und Ablösung der Vesikel befördert. Das wiederum ruft neue Enzyme auf den Plan, welche die PIPs weiter umwandeln. Aus einer Kette chemischer Reaktionen entsteht so eine räumlich-zeitliche Dynamik mit einer vorgegebenen Richtung.

„Wir können nun ziemlich präzise bestimmen, welche und wie viele Moleküle sich wann an welchem Ort befinden“, erklärt Volker Haucke. „Das kann man sogar in mathematischen Modellen ausdrücken, dazu bereiten wir gerade eine weitere Veröffentlichung vor.“ Das ganze System läuft zwar selbst organisiert, reagiert aber auch auf äußere Einflüsse. „Wir vermuten, dass die Enzyme, welche die PIPs bilden oder abbauen, auch als Sensor dienen, um die Versorgung der Zelle mit Nährstoffen sicherzustellen und entsprechend zu reagieren. Diese Sensorfunktion bestimmt u.a. darüber, ob eine Zelle wächst und sich teilt, was bei der Entstehung von Krebs von Bedeutung ist. Zugleich beeinflussen die PIPs auch die Kommunikation zwischen Zellen, beispielsweise im Gehirn, oder den Abbau verklumpter Eiweißmoleküle, eine zentrale Ursache für neurodegenerative Krankheiten wie die Alzheimersche Krankheit.“

 

Quelle:

Spatiotemporal control of endocytosis by phophatidylinositol-3,4,bisphosphate: Nature, Band 498, Ausgabe vom 11. Juli 2013; Advance Online Publication (AOP) auf http://www.nature.com/nature am 3. Juli 2013 um 18:00 Uhr London Time / 13:00 Uhr US Eastern Time. DOI: 10.1038/nature12360

 

Kontakt:

Prof. Dr. Volker Haucke

Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie

Robert-Rössle-Straße 10

13125 Berlin, Germany

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